Sind seit dem Schreiben des letzten Artikels wirklich schon 9 Wochen ins Land gegangen? Es ist viel in dieser Zeit passiert: Eine Woche der Meditation Ende Juli bei meinem Lehrer Rudi Baier (www.wieobensounten.de), ein wunderschöner Urlaub mit der Familie, drei Abende der Meditation im Europäischen Institut für Angewandten Buddhismus in Waldbröl (klingt das nicht schön un-esoterisch?) und nun sitze ich in einem Zug mit ein paar buddhistischen (?) Mönchen und Nonnen, von denen eine ein ansteckendes Lächeln verschenkt, das mich innerlich mit Fröhlichkeit erfüllt und in den aktuellen Moment bringt. Und zum Schreiben.
Der aktuelle Moment. Sicher habt ihr schon gelesen, daß dies der einzige Moment in euerem Leben ist. Warum unser Gehirn alles tut, um sich diesem Moment zu entwinden liegt in der Existenzangst unseres Egos verborgen. Wenn wir nicht in Gedanken sind, wenn wir tatsächlich mit unserer vollen Aufmerksamkeit im Jetzt sind, dann bedeutet dies das Ende des Egos, der Identifikation mit unseren Gedanken und Rollen. Wie jedes andere Lebewesen auch fürchtet auch das Ego das Ende der Existenz, das Ende des Lebens. Und es wehrt sich mit aller Macht, so wie jedes andere Lebewesen auch, gegen dieses befürchtete Ende.
Das Ego, wie jedes andere Lebewesen auch, wird lügen, bitten, täuschen, verhandeln und sich mit aller Macht zu entwinden suchen. Denn es geht um seinen Tod.

Es flüstert in unser Ohr, weist uns darauf hin, daß das Sitzen in der Meditationshaltung schmerzvoll ist, daß es wahrlich aufregender wäre das Fernsehen einzuschalten oder etwas zu lesen. Wenn das nicht geht, belegt es unsere Gedanken mit Bildern und führt uns in Situationen im Morgen oder Übermorgen, im Gestern oder im letzten Jahr. Denn das Ego benötigt unsere Identifikation mit unseren Vorstellungen, unseren Gedanken, um überhaupt zu existieren. Es bietet uns Wut an, über die Äußerung eines Kollegen oder einer Kollegin vielleicht, die uns gestern wütend gemacht hat. Und es bietet uns Antworten an, die wir hätten geben können. Es schwelgt in der Vorstellung, wie wir das nächste Mal viel souveräner antworten werden, wie wir verletztend eine gemeine Äußerung machen werden, wie wir diese Pappnase in Grund und Boden stoßen.
Dieses Toben der Gedanken können wir nicht einfach dauerhaft stoppen. Zwar können wir die Gedanken eine Weile unterdrücken, aber schon wenig später finden wir uns, ohne es zu bemerken, ihnen schon wieder folgend vor, ausgeliefert gegen die subversive Macht, die die Gedanken über uns haben.
Wie können wir die Gedanken denn dann beruhigen oder stoppen?
Es gibt nichts, das wir konkret tun können. Wir können aber nichts tun und nur wach und aufmerksam die Gedanken beobachten. Wir stellen fest, wann wir ihnen folgen und konzentrieren unsere Aufmerksamkeit wieder auf den Moment, auf das was in uns und um uns herum geschieht. Auf das Jetzt. Immer dann, wenn wir uns in Gedanken ertappen.
Mit der Zeit und der Gewohnheit kommen unsere Gedanken dann langsam zur Ruhe. Uns fällt dann vielleicht öfters auf, wenn wir in Gedanken sind. Und irgendwann lässt die Identifikation mit den Gedanken nach, so dass wir sie vielleicht als fremde Erscheinung wahrnehmen. Als gar nicht mehr Teil von uns. Und irgendwann hören sie vielleicht einmal auf, im Sekundentakt aufzutauchen, aber das auch nur kurz.
Aber wie machen wir das denn?
Wir setzen uns hin und beobachten uns. Nicht mehr.
Wenn der Sturm der Gedanken in uns wütet und uns dies auffällt, dann ist das Meditation. Wenn wir durch Gedanken Bilder sehen, die in uns Emotionen auslösen und uns dies auffällt, dann ist das Meditation. Wenn wir bemerken, wie ein Gedanke uns wegtragen will, wir aber nicht folgen, dann ist das Meditation. Wenn wir still da sitzen und kaum Gedanken haben und ganz bei uns sind, im Hier uns Jetzt, dann ist das Meditation.
Dabei gibt es zwischen dem erstgenannten und der letzten Meditationserfahrung einen subjektiven Unterschied, aber im Sinne der Meditation ist es unerheblich, ob unsere Achtsamkeit in einem Sturm der Gedanken einsetzt oder wir uns in großer innerer Ruhe befinden. Jede Erfahrung der Achtsamkeit bringt uns einen Schritt weiter. Subjektiv habe ich das Gefühl, daß die anstrengenden und schmerzvollen Erfahrungen der Meditation mit ihrer Unruhe, Wut oder Verzweiflung die wichtigen Erfahrungen waren.

Das fluffige-schwebende Gefühl in Meditation zu versinken, ruhig und achtsam, zufrieden und friedlich, ja, das ist toll. Aber diese Momente sind nicht wichtiger als die Momente des inneren Kampfes mit dem Ego. Die ruhigen Momente sind ein Resultat der anderen, anstrengenderen Meditationserfahrungen.
Daran musste ich im Europäischen Institut für Angewandten Buddhismus in Waldbröl denken, als nach einer der Meditationen ein Erfahrungsaustausch stattfand, und einer nach dem anderen von der gefühlten großen Stille und Besinnlichkeit sprach. Die Anfänger unter den Meditierenden werden vielleicht gedacht haben, daß sie etwas falsch machen, wenn ihnen nur alles weht tut und die Zeit nicht vorbei zu gehen scheint. Aber die haben sich nicht geäußert, wenn es sie gab.

Ich dachte jedenfalls für mich, daß die Schilderungen der schönen Meditationserfahrungen in ihnen auch einen Erfolgsdruck auslösen mögen, auch solche Empfindungen haben zu müssen. Das ist ein gefundenes Fressen für das Ego, das uns gerne solche Erfahrungen in Form von Gedanken liefert. Vielleicht entsprangen sogar manche Schilderungen eher solchen Gedanken als tatsächlichen Meditationserfahrungen.
Aber schöne Gedanken sind keine Meditation.

Ich habe mich dann gemeldet und gesagt, daß meinen Gedanken die Meditation zu lange war, dass ich unruhig war und mir alle Muskeln im Rücken tierisch weh taten. Und daß das auch Meditation ist, falls jemand neu dabei sein sollte.
Das mag die Atmosphäre getrübt haben, aber wissendes Lachen von einigen Meditierenden zeigte mir, daß sie diese Erfahrung kennnen. Wenn so viele Menschen auf einem Haufen meditieren, die nicht gerade im Kloster oder Retreat sind, dann haben meiner Erfahrung nach viele von ihnen mit Widerständen zu kämpfen. Vielleicht trauen sie sich nicht, dies offen zu sagen, weil andere scheinbar mühelos ‚in die Übung kommen‘. In der Meditation ist aber nur wichtig, was gerade ist, jetzt in diesem Moment. Auch wenn es Rückenschmerzen und fiese Gedanken sind.
Ich wünsche euch eine schöne Woche.

Photos by h.koppdelaney, Mel & G4Glenno, Sebastyne Young via flickr.com